Eine Entscheidung für die Ewigkeit

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Mario Draghi hat sich gestern so aus dem Amt verabschiedet, wir er sich im Amt bekannt gemacht hat: mit einer weitreichenden, geldpolitischen Entscheidung. Was bedeutet seine "Entscheidung für die Ewigkeit"?

Der EZB-Rat hat auf seiner gestrigen Sitzung so einiges beschlossen, u.a. die Absenkung des Einlagenzinses au -0,5% sowei eine Wiederaufnahme des Anleihen-Kaufprogramms ab November. Dann sollen monatlich 20 Mrd. Euro an Staatsanleihen, Pfandbriefen, Unternehmensanleihen oder was sonst noch so für die EZB erwerbbar ist, gekauft werden.

Vor allem letztere Entscheidung entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Denn zum einen ebnet Draghi damit der designierten EZB-Präsidentin Christine Lagarde den Weg an die Spitze der EZB. Diese tritt am 1. November in die Fußstapfen des großen "Maestros". Und damit sie Zeit zur Eingewöhnung hat, hat Draghi für den 1.11. schon einmal die Weichen gestellt. Doch mehr noch: er hat für Lagarde gleich die Pressekonferenz-Texte für die ersten Monate bis weit ins Jahr 2020 scheinbar vorgeschrieben. Denn das Kaufprogramm gilt zeitlich unbefristet - bis zu dem Tag, an dem "die Inflationsrate nahe 2%, aber unter 2%, und nicht nur kurzfristig sondern nachhaltig stabil nahe 2%" notiert. Also vermutlich bis in eine sehr ferne Zukunft!

Normalerweise treffen scheidende Präsidenten solch weitreichende Entscheidungen nicht mehr am Ende ihrer Amtszeit. Die Bindung der Nachfolgerin wäre zu groß. Es darf also angenommen werden, dass diese Entscheidung mit Wissen und Billigung von Madame Lagarde getroffen wurde. Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Komik, dass diese Entscheidung anscheinend gegen den offen Widerstand von Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich und Estland getroffen wurde.

Mit anderen Worten: halb Europa war eigentlich gegen diese Entscheidung und trotzdem hat Draghi sie durchgesetzt - und mit einer Gültigkeit im Zweifel für die Ewigkeit belegt. Das ist nahe am Skandal und zeigt offensichtlich, auf welch verlorenem Posten stabilitätsorientierte Zentralbanker kämpfen, wenn der "Club Med" oder Politiker das Heft des Handelns in der Notenbank übernehmen.

In unserem Blog "Warten auf den Tod" haben wir die Unattraktivität der Anlageklasse "Bundesanleihen" herausgearbeitet. Nach diesen EZB-Beschlüssen müsste eigentlich jedem klar sein, was die Stunde für Bondanleger geschlagen hat. Denn ein Kaufprogramm "bis zur Ewigkeit" bedeutet entweder den endgültigen Bruch mit allen Euro-Verträgen und der Einstieg in die vollständige Staatsfinanzierung (eine Abwandlung des vor dem Verfassungsgericht gescheiterten OMT-Programms aus 2012!). Oder Draghi und seine Amtsnachfolgerin bekommen, was sie bestellt haben: eine Inflation von 2% oder auch mehr.

Bedenkt man, dass Bundesanleihen bis zu einer Laufzeit von 30 Jahren noch bis zuletzt unter 0% rentierten, ist klar, was dies für die Besitzer dieser Anleihen bedeutet. Wir können uns also den gestrigen Tag im Kalender und den Zinscharts schon einmal markieren. Aber man wird ihn wohl in historischen Charts auch ohne eine solche Markierung erkennen können.

Eine positive Nachricht des gestrigen Tages war die Einführung des sogenannten "tierings" im Bereich der Einlagen-Fazilität. Dieses bedeutet, dass Banken für einen gewissen Teil ihrer bei der EZB gehaltenen Einlagen nicht mehr den abgesenkten Satz von -0,5% bezahlen müssen, sondern diese mit 0% vergütet werden. Man hat einen Multiplikator auf die von den Banken bei der EZB pflichtgemäß zu haltenden Einlagen (Mindestreserven) von 6 (!) beschlossen. Dies nimmt den Banken in doppelter Hinsicht viel Druck von den Schultern.

Zum einen vermeidet es den Negativzins auch auf kleinere Kontoguthaben anwenden zu müssen. Und zum anderen macht es für Banken nun kaum noch Sinn, ihre Einlagenkunden zur Abwanderung aufzufordern. Aber diese Entscheidung erfolgte wohl nicht aus Sorge um die Profitabilität der Banken, sondern ist schlicht dem Umstand geschuldet, dass bei einer flächendeckenden Einführung von Minuszinsen, wie sie ohne dieses "tiering" wohl unvermeidlich gewesen wäre, mit einer Flucht der Anleger aus Kontoguthaben ins Bargeld oder alternative Anlageformen wie Gold zu rechnen gewesen wäre. Psychologisch ist ein Negativzins nämlich etwas ganz anderes als ein Nullzins! Die EZB weiß, dass sie mit ihrer "Politik aus der Giftküche" nicht mehr weit vom vollständigen Vertrauensverlust entfernt ist.

Draghi hat also durchaus zur Kenntnis genommen, dass die Möglichkeiten seiner Geldpolitik begrenzt sind. Und so kommen wir zum eigentlichen Kern der gestrigen Entscheidung, nämlich der offenen Aufforderung der EZB an die Mitgliedsstaaten (allen voran Deutschland), die Staatsausgaben ordentlich zu erhöhen. Die Absurdität unseres Geldsystems könnte nicht eindrucksvoller unter Beweis gestellt werden, als dass aus Sicht der Notenbank der Euro und die Stabilität unseres Wirtschaftssystems nur noch durch signifikant höhere Staatsschulden und eine folgende Inflation zu sichern ist.

Wer jetzt noch meint, Anlagen in Geld und Anleihen, seien eine vernünftige Anlage für die nächsten Jahre, der glaubt auch, dass die Störche die Kinder bringen.

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