Ein unverkrampfter Blick nach Griechenland

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Schuldenschnitt ja oder nein? Euro-Austritt ja oder nein? Europa im Wandel oder in der Katharsis? Die neu gewählte griechische Regierung hat zwar noch nichts geleistet. Dennoch wirbelt sie Europa gehörig auf. Und das ist gut so! Denn die bisherige Rettungspolitik hat keine nachhaltige Lösung gebracht. Die Eurozone steht vor einer wegweisenden Entscheidung.

In den nachfolgenden Zeilen  versuchen wir einen möglichst objektiven, spieltheoretisch gefärbten Blick auf die verfahrene Lage in Griechenland und in dessen Verhältnis zur EU zu werfen. Wir überlegen, was getan werden sollte - und was getan werden wird. Denn leider steht auch dieses Mal zu befürchten, dass es zu keinem wirklich sinnvollen Kompromiss kommt, sondern  - wie so oft in der Politik - es um die Wahrung des Gesichts geht.

Ein kurzer Blick zurück

Im Jahr 2010 war jedem vernünftig denkenden Menschen klar, dass Griechenland pleite ist. Eine Staatspleite mit anschließender Schuldenrestrukturierung wäre die logische Konsequenz gewesen. Man hat sich damals jedoch dafür entschieden, die Pleite abzuwenden und die Schulden vom Privatsektor auf den öffentlichen Sektor umzuverteilen. Dies hat das Problem der Überschuldung Griechenlands natürlich nicht gelöst, die Risiken jedoch auf den Steuerzahler abgewälzt.

Das kategorische "Nein" zu einem Schuldenschnitt ist demnach nicht sachlicher Natur, sonden rein politischer: Die Euro-Rettungspolitiker müssten eingestehen, damals eben doch Geld "verbrannt" zu haben. Wenn der neue griechische Finanzminister darauf hinweist, dass sein Land bereits bankrott ist und es für ihn deshalb keinen Unterschied macht, ob er kein Geld bekommt, weil er eine weitere Rettung durch die EU ablehnt oder er ebenso kein Geld im Rahmen der bestehenden Rettung erhält, erscheint uns nachvollziehbar.

Klar ist, die Misere Griechenlands ist hausgemacht und hat zu einer massiven Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit geführt. Diese kann nur durch Strukturanpassungen wieder hergestellt werden, die aber aufgrund der griechischen Verhältnisse extrem schwierig zu erreichen sind.

Der Trumpf in den Händen Griechenlands

Deshalb ist eine mögliche Variante der "Grexit", der Austritt Griechenlands aus dem Euro. Dieser hätte für die EU jedoch einen hohen Preis: Das gesamte ausstehende Schuldenvolumen in Händen der Euro-Partner dürfte von den Griechen in diesem Fall nicht mehr bedient werden. Ausnahme: der IWF (den braucht jedes Land als Notinstanz). Eventuell bleiben dieses Mal sogar die privaten Gläubiger verschont, denn auch auf diese bleibt Griechenland angewiesen.

Würde Griechenland jedoch aus dem Euro gedrängt, dürfte die Bereitschaft zum Schuldendienst an EZB und Eurogruppe gegen Null tendieren. Hinzu kommt ein erheblicher politischer Schaden, da (a) der Euro nicht mehr unumkehrbar wäre und (b) dies auch ein schweres Zerwürfnis für die EU als Ganzes bedeuten würde. Hinzu käme noch die geopolitische Dimension, vor allem wenn Griechenland auch aus der EU ausscheiden würde (was Griechenland eigentlich formal tun müsste, da dies die einzige vertragliche Möglichkeit zum Austritt aus dem Euro ist).

Diese Ausführungen machen deutlich, dass der Wille zu einer Lösung innerhalb der Eurozone enorm sein dürfte. Ob man dies als griechisches Erpressungspotential bezeichnen sollte, sei dahin gestellt. Griechenland hat zumindest einen Trumpf in der Hand. Natürlich haben auch die Griechen einiges zu verlieren. Summiert man die direkten und indirekten Zahlungen der EU an Griechenland auf, so stehen diese im Falle eines "Grexits" und eines Schulden-Defaults ebenso zur Disposition. Zudem will die Bevölkerung den Euro behalten und Tsipras hat in der Wahl eben auch versprochen, daran nicht zu rütteln.

Staatsbankrott keine Option!

Eine Staatspleite in der Eurozone hat es bislang noch nicht gegeben. Dies ist jedoch ein spannender Punkt! Geht ein Staats mit eigener Währung Pleite, so bedient er seine Auslandsschulden nicht mehr und verliert seine Währungsreserven. Er kann dadurch einerseits keine Importe mehr bezahlen (Wohlstandsverlust für die Bevölkerung), andererseits jedoch binnenwirtschaftlich weiter arbeiten. Je höher der Selbstversorgungsgrad, desto eher ist das Land in der Lage, weiterzuarbeiten. Die griechischen Deviseneinnahmen aus dem Tourismus dürften ausreichen, um die Versorgung des Landes mit Energie und lebensnotwendigen Gütern sicherzustellen. Doch während ein Land mit eigener Währung auf Basis dieser eigenen Währung sein Bankwesen aufrecht erhalten kann, ist das griechische Bankwesen auf die Unterstützung der EZB angewiesen. Das heißt, eine Staatspleite kann nur dann von den Griechen bewältigt werden, wenn die EZB in irgendeiner Weise mitspielt.

Die EZB hat jedoch mit ihrem jüngsten Entscheid, griechische Bonds nicht mehr als Sicherheit zu akzeptieren, bereits deutlich gemacht, dass sie nicht gewillt ist, ihre Reputation - die wegen dem aktuellen "QE-Programms" (Ankauf von Staatsanleihen) ohnehin ramponiert ist - wegen Griechenland weiter zu schwächen. Die EZB wird sich demnach stur nach Regelwerk verhalten. Dieses sieht vor, dass griechische Banken kein Geld mehr erhalten, so lange Griechen-Bonds als Ramsch geratet sind.

Was passiert aber im Falle eines Defaults? Erst geht das Rating auf CCC oder D (Default), dann gibt es ein Moratorium und eine Neuverhandlung der Schulden. Ziel einer solchen "Schuldenkonferenz" ist immer die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners. Mit etwas "good will" könnte irgendwann sogar wieder ein BBB- Rating dabei herauskommen. Eine Staatspleite innerhalb des Euros ist demnach nur vorstellbar, wenn irgendjemand Griechenland von heute bis zu einem Zeitpunkt in mehrere Monaten (eher Jahren!) einen Überbrückungskredit gewährt. Wer soll das sein? Niemand!

EZB als Schrittmacher

Deshalb ist auch Tsipras in der Falle.* Die Drohkulisse einer Staatspleite ist auch für ihn keine ernsthafte Option. Beide werden also den Default vermeiden wollen - und die EZB ist diejenige Instanz, die durch ihr schematisches Verhalten dem ganzen Prozess die nötige Dynamik verleiht. Schon in zwei Wochen werden erstmals die ELA-Hilfen geprüft, die nach dem gestrigen Entscheid nun die griechischen Banken fürs Erste am Leben erhalten. Und es ist durchaus wahrscheinlich, dass die EZB bereits bei der ersten Überprüfung zumindest die Untersagung dieser Hilfen androht und diese nach weiteren zwei ergebnislosen Wochen tatsächlich untersagt. Ohne Kompromiss, ohne Einigung ist das Griechen-Debakel bis Mitte März in den unkontrollierten Default gerutscht!

Es wird also in den nächsten Wochen alles sehr schnell gehen. Wie sollte eine tragfähige Kompromißlösung aussehen?

Wie ein Kompromiss aussehen sollte

Zunächst müssen die Geldgeber realisieren, dass der Verlust in Griechenland real eingetreten ist. Jeder Trader weiß, dass man erst wieder klar denken kann, wenn die verlustträchtige Position geschlossen ist. Also: Abhaken! Das Geld ist weg. Wenn man diese nicht werthaltigen Schulden jedoch dazu benutzen könnte, ein konstruktives Anreizsystem zu formulieren, würde man sogar noch etwas Gutes mit den Verlusten erreichen!

Griechenlands Misere ist Folge eines Staatsversagens und erhebliche Strukturanpassungen sind erforderlich. Es sollte deshalb ein gemeinsamer Katalog von erwünschten Zielen erstellt werden. Auch die neue Regierung will eine Verwaltungsreform, die Korruption bekämpfen und die Einnahmebasis durch eine bessere Steuerverwaltung erhöhen. Alle wollen Wirtschaftswachstum und sinkende Arbeitslosigkeit.

Den Zielen sollten Projekte zugeordnet werden und Meilensteine definiert werden. Bei jedem erreichten Meilenstein wird ein Teil der Schulden gestrichen. Verändert sich Griechenland nachhaltig, steht es am Ende mit einer deutlich reduzierten Schuldenlast dar. Entscheidend für das Gelingen bleibt aber, dass man sich auf konstruktive Ziele und nicht auf simples "deficit spending" einigt. Zudem braucht es eine anreizgetriebene "Kontrolle".

In dem Maße, in dem Griechenland - vor Zinsen an die EU - einen Primärüberschuss ausweist, ist es in der Verwendung dieses Überschusses frei. Damit kann dem Volk Erleichterung gegeben werden. Entscheidend dürfte sein, dass auch Arbeitsmarktreformen eingeleitet werden und die Vetternwirtschaft in den Amtsstuben beendet wird. Dieses Ziel kann einige "gestrichene Schulden" für alle in Europa wert sein.

Die EZB wäre bei dieser Variante im Boot, da einerseits Griechenland zu seiner Verpflichtung gegenüber der EZB stünde und zum anderen ein "neues Programm" an die Stelle des bisherigen Troika-geführten Programms treten würde.

Abschaffung des Reeder-Privilegs

Ein interessanter Punkt einer "idealen Lösung" ist die Frage der Besteuerung der Reeder. Diese zahlen keine Steuer, weil dieses Privileg in der Verfassung verankert ist. Will man daran rütteln, müsste man eine verfassungsändernde Mehrheit auf die Beine stellen. Das schafft Tsipras niemals alleine! Will die EU ein extrem sichtbares und weithin bejubeltes Zeichen in der Griechenland-Frage setzen, dann würde sie die ehemaligen Partner der Altparteien an dieser Stelle verpflichten, an der Abschaffung dieses Privilegs mitzuwirken. Ein solches Zeichen einer positiven EU-Intervention würde in der Bevölkerung und gegen die korrupten Eliten wohl seine Wirkung nicht verfehlen. Frau Merkel, hier liegt Ihre Herausforderung!

Was jedoch (leider) wahrscheinlich ist

Die oben beschriebe Lösung ist jedoch zu einfach und zu marktkonform, als dass sie als Blaupause für einen typischen Brüsseler Kompromiss taugt. Dieser wird eher die weitere Konkursverschleppung durch eine Verlängerung von Kreditlaufzeiten vorsehen, die keinem wirklich etwas nützt. Im Gegenzug wird Tsipras sich weniger kooperativ und konstruktiv zeigen, als dies bei gutem Willen in dem vorstehenden Vorschlag möglich und notwendig wäre. Zu der Laufzeitverlängerung gesellen sich deshalb noch mehr Kredite für unproduktive Kurzfristausgaben, die mangels Strukturreformen wieder einmal das Problem nur vertagen würden.

Die EZB würde in dieser Variante wohl zähneknirschend mitmachen, da vordergründig eine Kontrolle durch den ESM wahrgenommen würde, der diese jedoch weitgehend auf politische Ferndiagnosen beschränken dürfte.

Fazit

In der aktuellen Griechenland-Diskussion steckt viel rückwärtsgewandtes Denken. Ich halte auch heute noch den in 2010 beschrittenen Weg für falsch. Doch nun schreiben wir das Jahr 2015 (!) und Politik orientiert sich immer an den Gegebenheiten der Gegenwart. Wichtig wäre eine Rückkehr zu einem Prozess, in dem ökonomisch sinnvolle Ziele mit einem gut balancierten Anreizsystem kombiniert werden. Gelingt dies nicht, dürften die Lichter in Griechenland bald ausgehen oder der Einstieg in eine unkontrollierte Transferpolitik beginnen. Griechenland jetzt ökonomisch sinnvoll zu helfen ist daher auch sehr in deutschem Interesse!

* An die Adresse von Herrn Varoufakis: Sie sind ja ein Kenner der Spieltheorie. Wie fühlt es sich an, Beteiligter in einem Gefangenendilemma zu sein?

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