08 January 2015
Die Entwicklung an den Rohölmärkten gehört derzeit zu den wichtigsten Einflussfaktoren an den Kapitalmärkten. Der rasante Verfall der Ölnotierungen (mehr als 50% Verlust innerhalb eines halben Jahres) wirft dabei viele Fragen auf. Zum einen: Was sagt dieser Preistrend über den Stand der Weltwirtschaft? Und zweitens, weit wichtiger: Wieso fällt der Preis überhaupt so stark und was bedeutet dies für die im Öl positionierten Anleger?
Diese Ausführungen ergänzen unsere Einschätzung aus dem sentix Jahresausblick 2015. Sofern Sie den Jahresausblick noch nicht erworben haben, können Sie diese Öl-Analyse hier nachlesen oder die komplette Analyse hier bestellen.
In den letzten Tagen und Wochen wird viel über den Ölmarkt geredet. In den Beiträgen und Analysen stehen meist die Wirkungen des Ölpreises auf Konjunktur, Inflation, Aktien und Zinsen im Vordergrund. Wir finden, dass man nur dann die Zukunft vernünftig abschätzen kann, wenn man die Vergangenheit (und damit kausale und korrelierte Beziehungen) einigermaßen korrekt einordnen kann. Wenn ein so wichtiger Marktpreis, wie es der Ölpreis nun einmal ist, innerhalb eines halben Jahres rund 50% verliert, dann müssen gewaltige Kräfte am Werk sein. Diese Kräfte haben das Angebots/Nachfrage-Verhältnis massiv gestört. Und so lange diese Störung nicht beseitigt ist, wird sich keine neue Tendenz einstellen.
Viele Beobachter mutmaßen, dass die Ölpreise so stark gefallen sind, weil die Weltwirtschaft schlecht läuft und die Nachfrage entsprechend niedrig ist. Wie massiv müsste sich die globale Konjunktur zwischen Mai und Dezember eigentlich abgeschwächt haben, damit die Preise so stark ins Rutschen kommen? Reicht dafür ein Nachfragerückgang von 0,1% (wie er zuletzt reportet wurde) aus? Würden wir nicht spüren, wenn die Welt in eine Rezession rutscht? Und warum zeigen diese Entwicklung keine anderen Wirtschaftsstatistiken an (siehe auch unser Konjunkturindex!)?
Es erscheint wenig plausibel, dass es tatsächlich eine schwache Nachfrage ist, die einen so starken Preiseinbruch bewirkt hat. Vor allem erklärt dies in keiner Weise den Zeitpunkt des Beginns und das Ausmaß der Schwäche. Allenfalls ist es ein begleitender Faktor, der vor allem die täglichen Nachrichten füllt, aber kaum die wahre Ursache darstellt.
Die zweite These zur Ursache fokussiert auf die Angebotsausweitung durch die Fracking-Förderung in den USA. Doch auch diese Entwicklung ist keineswegs neu und die USA steigern bereits seit langem ihre Produktion kontinuierlich. Sichtbar wurde diese Form der Angebotsausweitung u.E. in der Preisdifferenz zwischen dem US-Öl (WTI) und dem Nordsee-Öl der Marke Brent. Betrachtet man die Entwicklung der Rohstoff-Futures, so tendierte der adjustierte WTI-Kontrakt zwischen 2009 und Mitte 2014 um rund 90 USD seitwärts, während Brent im gleichen Zeitraum von 70 auf 120 USD anzog. Mit anderen Worten: Trotz einer Angebotserhöhung durch das US-Öl stiegen die globalen Ölpreise (Brent), während lokal die US-Ölpreise "nur" seitwärts tendierten. Da das viele US-Öl nicht exportiert werden konnte, kam es zu dieser Verzerrung. Seit MItte 2014 hat sich aber diese Preisdifferenz fast vollständig aufgelöst und Brent sowie WTI notieren nun um USD 50!
Kennen Sie noch Jerome Kerviel? Hinter diesem Namen verbigt sich eine der größten Fehlpositionierungen der jüngeren Kapitalmarktgeschichte. Kerviel, Ex-Händler der Societe Generale, schaffte es - unbemerkt von Vorgesetzten und Aufsehern - eine so große Aktien-Position aufzubauen und in den Sand zu setzen, dass seinem Arbeitgeber Anfang 2008 ein Milliarden-Schaden entstanden war (siehe Link).
Wir stellen eine dritte These in den Raum und erklären die Preisdynamik vor allem mit der Entwicklung der Positionierung der Anleger im Ölmarkt. Das nachfolgende Chart zeigt die Entwicklung des Brent-Öl-Futures, des sentix Strategischer Bias zu Öl sowie die Positionierung der Großanleger (Large Speculators) in Öl (gem. COT Report der CFTC).
Erkennbar sind in diesem Chart zwei Dinge: Zum einen haben die Anleger massive Longpositionen seit Anfang 2013 aufgebaut. Ein solcher Positionsaufbau hat sich durch die Preisdynamik sowie die Diskussion über das steigende Ölangebot (US-Öl) eigentlich nicht aufgedrängt. Warum sollte man Brent massiv kaufen, wenn gleichzeitig WTI viel billiger ist? Zudem zeigt der Strategische Bias, dass die Anleger kaum eine positive Grundüberzeugung für Öl hatten. Bis Ende 2012 gab es eine relativ hohe Korrelation zwischen dem Bias und der Positionierung, was absolut Sinn macht und auch in anderen Märkten so der Fall ist. Seit Anfang 2013 jedoch kaufen die Anleger ohne Überzeugung in einem überteuerten Markt, der zudem von steigendem Angebot belastet wird. Das ist absolut unlogisch, stellt einen starken Bruch zu historischen Beziehungen dar und führte bei uns bereits im Frühjahr 2014 zu der These, dass hier andere Anleger als die üblichen Finanzanleger aktiv sein müssen.
Bis Mai 2014 wurde so immerhin die größte jemals gemessene Longposition aufgebaut! Groben Schätzungen zufolge, die wir auf Basis der adjustierten Futures-Preise sowie der Positionssalden vorgenommen haben, beläuft sich der Einstandskurs dieser Rekordpositionen auf ca. 90-95 USD! Seitdem fallen die Preise deutlich, was sich an dieser Stelle sehr leicht durch das schiere Gewicht dieser Rekord-Longpositionen erklärt. Wenn ein Markt extrem einseitig positioniert ist, wird er anfällig für eine Gegenbewegung. Kleine Anekdote am Rande: Der Absturz begann just eine Woche nachdem durch ein neues Verlaufshoch im Brent ein extrem bullisches Sentiment in den sentix-Daten messbar wurde. Der finale Trigger wurde also "sicherheitshalber" noch durch einen Fehlausbruch erzeugt, der die Stimmung zusätzlich massiv anheizte.
Ab hier wird es spannend! Denn die Ölpreise fallen und wir haben uns die Mühe gemacht, auszurechnen, wie hoch die Verluste der Anleger sind, die sich so massiv verspekuliert haben. Zum Zeitpunkt des sentix Jahresausblicks und bei Ständen von USD 66 je barrel beliefen sich die Buchverluste bereits auf 6,6 Mrd. US-Dollar. Nicht eingerechnet in diese Betrachtung waren die bereits realisierten Verluste, denn bis Mitte Dezember hatte sich die Longpositionierung bereits halbiert - sprich: zur Hälfte wurden die Anleger bereits ausgestoppt und haben beträchtliche Verluste realisiert.
Seit Mitte Dezember jedoch ist der Ölpreis weiter gefallen und die Buchverluste belaufen sich - grob gerechnet - inzwischen auf mehr als 11 Mrd. US-Dollar! Was zudem noch mehr überrascht: Trotz massiv steigender Verluste hat sich die Nettoposition kaum mehr verändert. Man fragt sich an dieser Stelle unweigerlich, welcher Anleger so tiefe Taschen hat, dass er solche massiven Verluste aussitzen kann? Kein Fondsmanager der Welt dürfte das aushalten oder im Job überleben. Wenn es private Adressen sind, die hinter der Fehlposition stehen, dann müsste man demnächst mit massiven Pleiten oder Verlustwarnungen dieser Adressen rechnen. Der Preisdruck dürfte im Öl so lange andauern, bis unter lautem Getöse der "Kerviel des Ölmarktes" entdeckt wäre.
Es gibt einen weiteren Grund an eine massive Schieflage im Ölmarkt zu glauben. Und dieser liegt im Verhalten der Notenbanken, vor allem der EZB, begründet. Erinnern Sie sich noch an Anfang Juni 2014? Völlig überraschend und mit seiner Deflationsrhetorik, in einer damals für viele Beobachter nicht nachvollziehbaren Weise, verkündete Mario Draghi die Bilanzsumme der EZB unter Biegen und Brechen zu erhöhen, notfalls sogar durch einen Ankauf von Staatsanleihen. Zudem wurde ein negativer Einlagenzins ins Spiel gebracht. Dies war zu dieser Zeit gleich unter mehreren Aspekten bemerkenswert: Zum einen war der Markt damals gar nicht bzw. kaum in Deflationsstimmung. Erst durch die Äußerungen Draghis wurde er mit der Nase darauf gestoßen. Zum anderen wurden mit dem Kauf von Staatsanleihen und Negativzinsen zwei sehr umstrittene Instrumente "eingeführt". Angesichts der Tatsache, dass der Kauf von Staatsanleihen immerhin als offene Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht an den Europäischen Gerichtshof verwiesen wurde und Negativzinsen als Instrument der Notenbank nicht unbedingt eine gute Reputation hatten, stellte sich schon damals die Frage, warum Draghi sich so verhielt.
Wenn es eine massive Schieflage im Ölmarkt gab, dann können wir davon ausgehen, dass die Notenbanken als erste davon erfahren haben. Und wenn es sich um eine kerviellsche Schieflage handelte, dann hatten die Notenbanker auch allen Grund, von der Gefahr eines deflationären Schocks auszugehen. Pikanterweise wird die vom Markt erwartete (ersehnte?) Entscheidung zu einem "QE der EZB" nun mit dem Dezember-Zahlen zu den Verbraucherpreisen "legitimiert" (dass die Kernrate gegen den Trend im Dezember angestiegen ist, wird dabei von Medien und Analysten "übersehen").
Die Schieflage könnte demnach "Europa-nah" entstanden sein. Karrikaturisten würden den Öl-Kerviel, aufgrund der Investmentbank.-Historie von Draghi bei Goldman Sachs, möglicherweise auch als Trader von Goldman Sachs zeichnen.
Wir glauben jedoch nicht, dass die von uns vermuete massive Schieflage von einem privaten Spieler verursacht wurde. Denn dieser müsste wie gesagt nicht nur extrem tiefe Taschen haben, sondern hat zudem zuvor (seit Anfang 2013) durch extrem dummes Anlageverhalten "geglänzt". Einen so schlechten Fondsmanager oder Hedgefonds-Manager kann es gar nicht geben ...
Wir gehen davon aus, dass es sich um einen Spieler handelt, der niemandem Rechenschaft ablegen muss, tiefe Taschen und gute Beziehungen hat (um seine Identität zu verschleiern) und ein strategisches Interesse am Ölmarkt haben muss. Einen solchen Anleger sollte man im Umfeld von Staaten - und zwar von ölproduzierenden Staaten - suchen. In Frage kommen für uns dabei wiederum nur wenige Namen: USA, Saudi Arabien, China, Russland, Iran. Andere Kandidaten wie Venezuela oder Brasilien scheiden von vorne herein mangels "Masse" aus.
Wir suchen deshalb nach dem Prinzip "cui bono" nach einem Staat oder einer Gruppe, die für diesen "Anschlag" verantwortlich sein könnte. Zuvor jedoch müssen wir eine These haben, was mit dem ungewöhnlichen Positionsverhalten bezweckt werden sollte. Hier bieten sich zwei Erklärungsansätze an:
Der Ölmarkt ist nicht nur ein kapitalmarkttechnisches Faszinosum, sondern hat sich zu einer Kriminalgeschichte weiterentwickelt. Es spricht für sich, dass unsere Medien bislang noch nicht einmal auf die Idee gekommen sind, diese "Geschichte" zu hinterfragen. Die naheligenden Fragen werden nicht gestellt. Als Anleger müssen wir diese Fragen aber stellen und es steht zu vermuten, dass sich ein großer, wahrscheinlich staatlich motivierter Player massiv verspekuliert hat. Den Schaden hat der Verursacher bereits weitgehend erlitten, nun steht im Raum, ob die US-Konjunktur - über die Ölindustrie - als Kollateralschaden mit geschädigt wird. Sollte diese Gefahr real werden, dürften der Strategische Bias am Aktienmarkt sowie die sentix Konjunkturindizes dies anzeigen. Bis dato weisen beide Indikatoren positive Tendenzen auf. Im Einklang mit den sentix Konjunkturerwartungen scheint es demnach nicht angebracht, aufgrund der niedrigen Ölpreise von einer nahenden Rezession auszugehen.