Hat man Sie heute schon geschubst?

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Warum entscheiden sich so wenige Menschen in Deutschland für die Organspende, in Österreich dagegen viele? Hinter dieser simplen Frage steht ein mächtiges Prinzip. Wann immer wir Entscheidungen zu treffen haben, müssen wir neben unseren eigenen Präferenzen und Vorlieben eine Menge an Informationen bewerten. Zudem steht unser Verhalten im Einklang oder im Widerspruch zur herrschenden Norm. Eine enorme kognitive Herausforderung, die bei Fragen über Leben und Tod oder in ethisch-moralischen Kategorien das Individuum leicht überfordern kann. Die Folge ist "Starre", also das Nicht-Entscheiden, welches jedoch keineswegs eine NIcht-Entscheidung ist. Ein Ausweg aus dem Dilemma kann ein "Schubs" zur richtigten Zeit geben! Was das mit der Börse zu tun hat? Jede Menge!

Eine schwierige Frage

Die Frage, ob man nach seinem Tod bereit ist, einige seiner Organe anderen Menschen zur Verfügung zu stellen und als Organspender zu fungieren, ist keine einfache Gewissensentscheidung. Wie die Entscheidung ausfällt, hängt von sehr vielen Faktoren ab: der eigenen Erziehung und den damit verbundenen Werten, dem Umfeld, ob man sich selbst als potentiellen Empfänger sieht, der Einstellung gegenüber Ärzten und Organhandel, und so weiter. Die Liste ist lang. Ein sehr komplexes Entscheidungsproblem, dass in Deutschland von jedem aktiv beantwortet werden muss, sofern er sich als Organspender zur Verfügung stellen möchte. Doch nur eine MInderheit hat eine solche Entscheidung bislang getroffen. Ca. 28% der Bundesbürger besitzen einen Organspender-Ausweis, wobei nur 24% damit ihre Zustimmung erklären. Und dies, obwohl in einer repräsentativen Umfrage rund 70% der Befragten erklärten, durchaus eher pro Organspende eingestellt zu sein.

Ganz anders die Lage in Österreich. Hier sind die Verhältnisse ganz anders. Hier kommen 99,7% der Einwohner als Organspender in Frage! Unterscheiden wir uns so sehr von unseren Nachbarn?

Der Rahmen machts

Nein, der Grund ist ganz einfach: in Österreich gilt die Widerspruchslösung. Das heißt, man muss aktiv als Organspender widersprechen, sonst erteilt man implizit seine Zustimmung. Daraus kann man lernen, dass eine Veränderung in der Problemstellung dazu führt, dass ein signifikant anderes Ergebnis herauskommt, selbst wenn sich die eigentliche Haltung zu einem Entscheidungsproblem kaum unterscheidet. In der Fachsprache der Behavioral Finance geht es um das sogenannte "Framing". Der "Rahmen", in dem uns ein Entscheidungsproblem präsentiert wird, beeinflusst erheblich unser Entscheidungsverhalten!

Manchmal, so zum Beispiel im Falle der Organspende, besteht die Möglichkeit, den Entscheidungsrahmen gezielt zu beeinflussen. Der Gesetzgeber kann die Zustimmung (Deutschland) oder den Widerspruch (Österreich, Spanien u.v.a.) zur aktiven Handlung erklären und das Gegenteil für den Fall der Nichtentscheidung. Aus dem oben stehenden Beispiel wird klar, dass diese Variation erheblich das Endergebnis beeinflusst - und zwar unabhängig vom tatsächlichen "Willen" der betroffenen Menschen. Setzt man also die Bestimmung des Rahmens gezielt ein, um ein "gewünschtes" Ergebnis zu erreichen, spricht man von "Nudging", schubsen. Dies ist nicht weit weg von der Manipulation, von der wir sprechen wenn das Nudging böswillig gegen den Entscheider und seine Interessen gerichtet ist.

Nudging und Börse

Was hat das nun mit der Börse zu tun? Sehr viel. Hierzu zwei Beispiele:

  • Präsentiert man Anlegern mehrere Fondssparpläne zum langfristigen Vermögensaufbau, neigen die Menschen dazu, die regelmäßige Sparsumme in etwa gleichmäßig auf die zur Verfügung stehenden Varianten zu verteilen. Präsentiert man dem Sparer mehrheitlich Aktiensparpläne wird sein tatsächliches Sparverhalten eher in Richtung Aktien tendieren. Überwiegen die Anleihe-lastigen Varianten wird mehr in Anleihen gespart. Und dies unabhängig von der Zielsetzung oder Risikotragfähigkeit des Anlegers! 
  • Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, senkt die Zentralbank die Zinsen. Sie verändert den Rahmen der Zinslandschaft und setzt damit Anreize, zu investieren, vom Geldmarkt in längere Laufzeiten umzuschichten oder anderweitig die Vermögensstruktur anzupassen. Ein gewaltiger Schubs, der so mächtig ist, dass er es bis zu einer Börsenweisheit gebracht hat: "don't fight the FED".

Es ist also wichtig, solche Rahmenabhängigkeit in Entscheidungsfragen zu kennen, um das positive "Nudging" von der negativen "Manipulation" zu unterscheiden. Sie als Anleger können aber auch das Nudging gezielt einsetzen, um Ihr Anlageverhalten zu verbessern!

Verhaltens-Tipps

Dies kann auf zwei Ebenen erfolgen. Auf Ebene 1 können Sie sich gezielt Modelle, Prinzipien und Vorgehensweisen zurechtlegen, die Sie in die richtige Richtung schubsen. Zum Beispiel:

  • Ein Anleger am Rentenmarkt kann seine Entscheidung am absoluten Zins festmachen. Dann wird er in Zeiten von Null- oder Minuszinsen wohl nur geringes Interesse an einem Investment in Anleihen haben. Oder er kann seine Modelle mehr auf die Steilheit der Zinsstrukturkurve ausrichten. In diesem Fall kann ein Rentenmarkt, an dem die langen Zinsen zwar absolut niedrig, aber relativ höher als am kurzen Ende sind, plötzlich sehr attraktiv erscheinen. Im zweiten Fall wird die Hemmung für ein Investment stark reduziert.
  • Wir empfehlen die Verwendung von Total-Return-Charts statt Kurscharts in der Aktienanalyse, da so die Dividendenabschläge nicht mehr als "Rückschläge" im Kurs wahrgenommen werden! So stärkt man die Fähigkeit, Aktienpositionen im Depot zu halten.
  • Beobachten Sie die sentix Indizes,damit Sie in Zeiten der Angst "Rückendeckung" für konträre Handlungen erhalten und die eigene Investitionsangst leichter überwinden.

Die zweite Ebene betrifft das Entscheidungsverhalten an sich. Es macht einen Unterschied, ob ich immer auf Basis der mir zur Verfügung stehenden Modelle eine aktive Entscheidung für die Übernahme der Modellentscheidung treffen muss. Oder ob ich die Modellentscheidung zunächst ausführe und mich dann ggf. aktiv gegen die bereits getroffene Modellentscheidung wende. Auch hier ein Beispiel:

  • Definition eines Stopp-Loss. Dieser schubst mich automatisch aus dem Markt, selbst wenn ich aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Informationen noch nicht in der Lage bin, zu entscheiden. So reduziert man den psychologischen Stress im Verlustfall. Sofern ich nach dem Stopp-Loss noch immer von der Anlage überzeugt bin, kann ich die Anlage ja erneut erwerben. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass dies nur extrem selten passiert. Das Beharren auf Verlustbringern, weil man keinen wirksamen Stopp-Loss-Mechanismus hat, ist dagegen sehr weit verbreitet. Und kostet nicht nur Performance, sondern belastet auch das psychologische Wohlbefinden und damit alle weiteren Entscheidungsvorgänge!

Ein wohlmeinender Schubser zur rechten Zeit kann die eigene Anlageperformance erheblich verbessern. Die psychologischen "Kosten" der Entscheidungsfindung können so dramatisch reduziert und die verfügbare kognitive Kapazität auf den kreativen Prozess der Informationsaufnahme und -verarbeitung gelenkt werden. Denn es geht bei der Implementierung von Modellen und Prozessen aus unserer Sicht nicht darum, zum puren Quant-Jünger und System-Trader zu werden. Wenngleich dies durchaus ein besserer, erfolgversprechenderer Weg ist, als sich nur auf sein "Gefühl" und seine Entscheidungskompetenz zu verlassen.

Es geht bei diesem Verfahren darum, für die große Zahl an Entscheidung, vor allem diejenigen, die sich durch Widersprüchlichkeit und Ambiguität auszeichen, schnell eine wirksame, an Prinzipien, Modellen und Statistiken ausgerichtete Grundposition einzunehmen. Wenn Sie als Anleger jedoch eine ganz klare Meinung haben, dann dürfen Sie auch diese einsetzen, um Ihr Modell zu überstimmen. Denn die Eintracht zwischen Ihnen und Ihrer Vorgehensweise ist ein ebenso großer Wert, der erhalten bleiben muss. Egal welche Variante in der Frage der Organspende zur Anwendung kommt, die Zustimmungs- oder die Widerspruchslösung, so steht Ihnen immer eine Entscheidung gegen das Standardverfahren offen, die Sie auch nutzen werden, wenn Sie in Ihrer Meinung / Haltung glasklar sind. Dann ist dies auch richtig und gerechtfertigt.

Doch wo die Unklarheit, die Doppeldeutigkeit und die Entscheidungsstarre dominieren aus welchen Gründen auch immer, hilft der wohlmeinende Schubser aus sorgfältig ausgewählten Modellen und Prinzipien, das eigene erfolgreiche Bestehen zu sichern!

 

Quellen und weiterführende Links

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