Lebensmittel-Spekulation

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Das Thema beschäftigt Talk-Shows und wirft moralische Fragen auf: Ist eine Spekulation in soft-commodities, also Lebensmittel-Rohstoffe, vertretbar? Das nachfolgende Essay versucht hierauf eine Antwort zu finden.

Sind die bösen Spekulanten, welche die Preise in die Höhe treiben, Schuld an Hunger und Tod in der Welt?

In Zeiten stark steigender Rohstoffpreise kann man diesen Eindruck gewinnen. Wir haben die Bilder aus dem Jahr 2008 vor Augen, als die explosionsartig steigenden Preise für Mais und Reis die ärmsten der Armen hart trafen. Viele dieser Menschen konnten sich ihr tägliches Brot nicht mehr leisten, manche aßen sogar Dreck um zu überleben.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Deshalb werfen wir einen genauen Blick auf Märkte, Preisfindung, ökonomische Folgen und daraus abzuleitende moralische Einordnungen.

Das Wesen der Märkte

Die Aufgabe von Märkten ist es, angemessene Preise für Güter zu finden und durch die Preise wichtige Signalfunktion auszuüben. Ein steigender Preis soll auf Angebotsknappheit oder Nachfrageüberschuss hinweisen, fallende Preise auf schwache Nachfrage oder Angebotüberhänge. Ist die Nachfrage dauerhaft zu hoch oder das Angebot zu schwach, sollen die hohen Preise Investoren ermutigen, neue Kapazitäten zu erschließen oder durch Innovation das Angebot zu erweitern. Hohe Preise stellen demnach für den Konsumenten kurzfristig ein Problem dar, welches aber langfristig zu einer Entspannung beitragen kann und vice versa.

Eine Preisfindung wird umso effizienter verlaufen, je freier ein Markt in der Preisfindung ist und je heterogener die Gruppe der Anbieter und Nachfrager besetzt ist. Spekulanten sind dabei in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung:

  • Zur Erhöhung der Liquidität und damit zur Senkung der Kosten des Handels
  • Zur schnelleren Preisanpassung an nachhaltig veränderte Angebots- und Nachfragestrukturen
  • Zur Erweiterung des Informationspools, der in die Preisfindung eingeht
  • Als Gegenkraft gegen übertriebene Preisreaktionen (die durch panikartige Reaktionen von Marktteilnehmern oder unvollkommene Märke, z.B. Oligopole, verursacht werden)

Spekulanten könnnen demnach sowohl trendverstärkend als auch als Korrektiv in die Preisfindung eingreifen.

Die Wirkung des Preises

Generell sollen Preise in einer freien Marktwirtschaft Signalfunktion ausüben und den Marktteilnehmern Informationen über Angebots- oder Nachfrageverzerrungen übermitteln. Je nach Preistrend erhalten die Produzenten oder die Konsumenten durch steigende bzw. fallende Preise eine zusätzliche Rendite. Bei Gütern, die nicht lebensnotwendig sind, akzeptieren wir, dass bei steigenden Preise die Nachfrage eingeschränkt werden muss und bei fallenden Preise sich die Nachfrage erhöhen kann. Bei steigenden Lebensmittelpreisen ist dies jedoch eine Frage von Hunger und ggf. Tod. Deshalb wird hier schnell der Ruf laut, diese Preisanstiege zu begrenzen.

Die Frage ist nur, ob dies dadurch erreicht werden kann oder soll, dass man in den Preismechanismus eingegreift und ggf. Marktteilnehmer diskriminiert. Denn die steigenden Preise deuten zunächst auf eine Mangelversorgung hin. Und diese wird sich langfristig nur dadurch lösen lassen, dass sich das Angebot erhöht. Hier sind die Preise wichtige Investitionsanreize. Statt also die Preise zu manipulieren, wäre es aufrichtiger, durch Subventionen den Ärmsten den Zugang zu Nahrung zu gewährleisten.

Übrigens können auch fallende Nahrungsmittelpreise für die Armen ein Problem sein, nämlich dann, wenn diese oftmals als Bauern tätigen Menschen nicht mehr genug Geld mit ihrer Arbeit erwirtschaften. Langfristig ist eine solche Überproduktionssituation für viele der Armen sogar schädlicher, da diese mit der Massenproduktion in den industrialisierten Ländern nicht mithalten können und kaum auf eine andere Erwerbstätigkeit ausweichen können.

Egal, wie der Fall gelagert ist: will man den Armen helfen, sollte man nicht die Signalfunktion der Märkte ausschalten, sondern durch direkte Zuschüsse und Hilfe zur Selbsthilfe dazu beitragen, dass diese Menschen ein Erwerbseinkommen erzielen, welches es Ihnen erlaubt, menschenwürdig zu leben und ihre Familien zu ernähren.

Anlagegeld

Die vorstehenden Aussagen beziehen sich im Wesentlichen auf Rohstoffmärkte, die von Produzenten, Konsumenten und professionellen Spekulanten geprägt sind. Seit einigen Jahren ist eine neue Anlegergruppe hinzugetreten, die eventuell kritischer zu betrachten ist: der Anlagekunde.

Der Anlagekunde zeichnet sich meist dadurch aus, dass er:

  • im Regelfall kein Rohstoff-Experte ist bzw. kein dauerhaftes Interesse an den Rohstoffmärkten hat
  • durch zuvor steigende Preise angelockt wird und die Vergangenheits-Renditen in die Zukunft extrapoliert
  • tendenziell Buy-Hold-Anleger ist, also Bestände erwirbt um sie länger zu halten und nicht aktiv zu bewirtschaften
  • sein Investment über Kapitalsammelstellen tätigt, die ihrerseits ebenfalls keine originären Rohstoff-Commercials sind

Diese Eigenschaften des Anlagegeldes sind tendenziell dazu geeignet, eine Hortung von Rohstoffen zu begünstigen. Dies ist bei Gold und Silber, welche einfach zu lagern und unverderblich sind, leicht nachzuvollziehen und verursachen dort auch relativ geringe Marktpreiseffekte. Bei verderblichen Waren ist dies anders, da die Lagerkapazitäten meist gering sind und auf "Verbrauch" kalkuliert sind.

Generall drücken sich die Kosten der Lagerung (direkte Lagerkosten sowie Kosten des Verderbs) in den Terminmarkt-Preisen eines Rohstoffs aus. Je höher die Lagerkosten sind, desto höher sind die zukünftigen Preise gegenüber dem jeweiligen Spot- bzw. Kassapreis. Diese Lagerkosten schmälern demnach die Rendite des Anlagegeldes zum Teil erheblich.

Je stärker demnach Anlagegeld zu einer Hortung von Rohstoffen führt, desto stärker wird die Rendite dieses Anlagegeldes geschmälert. Die Preissetzung freier Märkte wirkt demnach dem Anlagegeld entgegen und sollte (theoretisch) zu einer Abnahme dieses Anlagegeldes führen.

Von der Theorie zur Praxis

Doch die Praxis sieht anders aus. Es kann Faktoren geben, die das Anlagegeld relativ preis-unempfindlich machen und damit zu einer längerfristigen Preisverzerrung führen:

  • Anleger flüchten in die Rohstoffmärkte als sicherer Hafen und sind deshalb selbst bei niedrigen bzw. leicht negativen Renditen unverändert an der Anlageklasse interessiert
  • Viele Anleger sind keine Rohstoff-Experten und unterschätzen die Lagerkosten. Zudem täuschen Rohstoff-Strategien, welche die so genannten Roll-Verluste schmälern sollen, die Anleger  über die wahren Risiken des Investments
  • Große Teile des Anlagegeldes werden, da sie nicht von Rohstoff-Experten und echten Marktkennern verwaltet werden, passiv investiert und orientieren sich an Benchmarks, die relativ statisch gewichtet sind. Dadurch ist viel Anlagegeld im Markt, welches generell nur dann auf Preisveränderungen reagiert, wenn der Endinvestor Geld zuführt oder Geld abzieht. Und diese Preisreaktion ist nicht unbedingt durch eine fundierte Rohstoffpreisentwicklung initiiert

Die Konsequenz

Vielfach werden die "Märkte" und die "Spekulanten" als Schuldige an Hunger und Tod und an Verwerfungen im Rohstoffbereich bezeichnet. Doch dies hieße, die wichtige Signalfunktion der Preise aushebeln zu wollen. Die Folgen wären deutlich ineffizientere Ökonomien, wo Kapital nicht dahin fließt, wo es den größten Nutzen stiftet. Es ist unbestritten, dass kurzfristige, starke Preisänderungen - nach oben und nach unten! - für Marktteilnehmer erhebliche Folgen haben können. Bei Nahrungsmitteln können diese so gewichtig sein, dass man den Betroffenen helfen muss, diese geänderten Preise zu verkraften. Man sollte jedoch nie den Preis selbst manipulieren, da dieser die Triebfeder hinter wichtigen Anpassungsprozessen ist, die langfristig Angebot oder Nachfrage so regelt, dass ein tagfähiges Gleichgewicht entsteht.

Dennoch gibt es ein Problem. Und dieses besteht nicht nur bei Nahrungsmittel-Rohstoffen, sondern es besteht eigentlich in jedem Markt. Und diese Probleme werden erzeugt, wenn Geld in hohen Summen von naiven Anlegern über marketingorientierte Kapitalsammelstellen (Fonds, Zertifikate) in eine (marktenge) Anlageklasse gepumpt werden. Diese "Flows" können über einen erheblichen Zeitraum die Preisfindung stören und bei den "natürlichen" Marktteilnehmern erhebliche Schäden verursachen, die weit über das "normale" Maß freier Märkte hinausgehen.

Letztlich werden auch diese Kräfte den Markt nicht aushebeln. Der Markt wird solche Preise setzen, welche die Rendite dieses naiven Geldes zerstört, so dass früher oder später dieses Geld wieder aus dem Markt verschwindet. Die Internet-Blase ist ein Beispiel für einen solchen Preisbildungsprozess, der die Anleger nachhaltig aus dem Segment wieder vertrieben hat. Aber solche Prozesse benötigen Zeit und im Falle von Nahrungsmittelpreisen sind die Schäden nicht nur materieller Art.

Deshalb sollte sich jeder Investor überlegen, wie er sich im Markt für Lebensmittel-Rohstoffe bewegt: als aktiver Investor, der Liquidität dem Markt bereitstellt und fundiert an der Preisfindung mitwirkt, oder als passiver Anlagegeld-Investor über Fonds und Zertifikate, welche weitgehend preis-unsensitiv das Geld im Markt verwalten. Letzteres wirft moralische Fragen auf, da die durch dieses naive Anlageverhalten verursachten Schäden unnötig sind und es keinen Grund gibt, diese von der Allgemeinheit tragen zu lassen.

Vor einigen Wochen war dies Thema bei Maybrit Illner. Dort wurden die Sparkassen und Volksbanken gefragt, ob Sie sich mitschuldig an negativen Folgen einer Rohstoff-Spekulation sehen. Die Antwort dieser "erfahrenen Investoren": wir legen das Geld ja nur passiv an und beteiligen uns nicht an Spekulationen. Genau dass ist das Problem! Würde Sie aktiv eingreifen, dann würden Sie vielleicht auch genau die Märkte verkaufen, deren Preise zu hoch sind und dort investieren, wo Preise kollabieren. Dass genau diese Spekulation unterbleibt, verzerrt Marktpreise und trägt zum schlechten Ruf freier Märkte bei.

Das Problem mit der Spekulation in Nahrungsmittel-Rohstoffen ist also nicht die Spekulation per se, sondern die Tatsache, das Anleger ihr Geld Kapitalsammelstellen, die oftmals keine besondere Rohstoffexpertise besitzen und deshalb passiv, benchmarkorientiert anlegen, anvertrauen und erst durch die eigenen Verluste erfahren, dass es so nicht funktioniert. Doch diesen Lernprozess, den Investoren bei Internet-Aktien, US-Immobilienpreisblasen und anderen "naiven" Anlageoperationen eigentlich schon zu Genüge durchlaufen haben, auf dem Rücken der Ärmsten auszutragen, ist eine Schande. Wenn man sich schon in diese Märkte begibt, dann nur als waschechter Spekulant!

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